Das berühmte Spiel des „gut für Dich“ / „schlecht für Dich“

Glaubt mir: Es ist überhaupt nicht einfach. Über die Dinge zu reden, die gut für uns und schlecht für uns sind, meine ich. Und es ist es noch weniger, zu wissen, was gut oder schlecht für uns ist. Aber seien wir ehrlich: Wie viele unter uns widerstehen der Versuchung, eine Sache für gut oder schlecht zu erklären? Und trotz meiner Studien und meiner nun dreißigjährigen Erfahrung finde ich es humoristisch, immer zu fühlen, wie angenehm ist – es ist in gewissem Sinne rettend – die eine oder andere Sache zu bestätigen: Wenn wir es tun, verschwinden alle unsere Zweifel mit einem Schlag! Für einen Augenblick scheint es uns, als könnten wir das Absolute berühren… eine ewige Wahrheit, die, in diesem Moment, kleine Erleuchtete aus uns macht.

Als Berater, persönlicher Trainer, Ernährungsberater werde ich dutzende Male pro Tag gefragt: Ist das gut oder schlecht? Wenn ich es mir erlauben kann, antworte ich manchmal: Für wen?!

Ich gebe zu, ich weiß, dass ich nicht besonders nett bin, wenn ich das mache. Aber indem ich diese anscheinend abweisende Antwort gebe, übermittle ich eine Botschaft, die ich für wichtig halte: Von sehr wenigen Dingen auf der Welt kann man, in absolutem Sinne, sagen, dass sie gut oder schlecht seien.

Doch auch wir sind, wenn wir diese Frage stellen, auf der Suche nach dem Absoluten, nach einer Einsicht, die uns mit einem Schlag erleuchtet, die unsere Macht (über die anderen, über die Natur oder über Gott) bestätigt und die unsere Sorgen überwindet.

Zuzugeben, dass es auf diese Frage keine alleingültige und definitive Antwort gibt, ist nicht leicht; vor allem ist es nicht leicht, die Konsequenzen zu akzeptieren, die sich daraus ergeben.

Wie sollen wir uns nur der Richtigkeit unserer Entscheidungen sicher sein? Wie sollen wir nur urteilen, wo Gut und wo Schlecht ist? Wie sollen wir nur an einen Punkt kommen, an dem wir sagen können, dass wir uns nichts vorzuwerfen haben?

Wie man sieht, eröffnen diese einfachen Behauptungen tausend andere Überlegungen. Ich muss mich selbst an meine programmatischen Vorgaben erinnern, um den Diskurs nicht ausufern zu lassen. Also werde ich mich auf die Fragen betreffs Wellness und Fitness beschränken.

Alles ist relativ, wie Einstein sagte (vielleicht): Indem wir unsere Interpretationen relativieren, wird es uns möglich, unsere Urteile auszudehnen. Was das Übrige betrifft, bleibt ein Weiser immer in Zweifel. Doch dessen bin ich mir nicht völlig sicher.

Ein Stück verdorbenes Fleisch, das zu essen sich jedes menschliche Wesen – und viele Tiere – (mit Recht) weigern würde, ist die Lebens- und Nahrungsquelle für eine Vielzahl von Bakterien, Insekten, Larven: Erst, wenn katabolische Prozesse damit beginnen, die Proteinstrukturen abzubauen, wird es diesen Lebewesen möglich, daraus Nährstoffe aufzunehmen.

Verdorbenes Fleisch ist also weder gut noch schlecht, es ist einfach nur für manche Spezies geeignet und für andere ungeeignet.

Dank der Mächtigkeit der Homöostase (ein überaus komplexes Netzwerk physiologischer Mechanismen, die sich gegenseitig im Gleichgewicht halten und kontrollieren), sind die Lebewesen dieses Planeten (ich weiß nicht, wie es auf den anderen läuft) sehr anpassungsfähig. Natürlich kann uns ein Gift töten und man kann auch von den Giften wirklich sagen, dass sie schlecht für uns sind. Aber in welcher Dosis? Für alle gleich hoch? Und haben die als Gifte klassifizierten Substanzen die selbe Wirkung auf alle? Mit Sicherheit nicht! Wir wissen sehr gut, dass viele der Substanzen, die man zum Beispiel für Therapien verwendet, sich in bestimmten Dosierungen als toxisch erweisen: Sind sie also gut oder schlecht für uns?

Aber ich will nicht über Gifte reden.

Eine Person kann innerhalb ihrer Physiologie Bereiche haben, die besonders „stark“ sind und leicht auf eine Beanspruchung reagieren, homöostatisch reagieren, und andere, die es weniger tun. Denken wir uns also ein Beispiel aus und nehmen wir an, dass meine Fähigkeit, fettreiche Lebensmittel zu verdauen und zu verstoffwechseln im normalen Bereich läge. Wenn ich zu einer Mahlzeit eine große Menge eines sehr fettigen Gerichts esse, das vielleicht sogar aus gesättigten Fetten besteht (Schmalz, Bauchspeck, Wurst etc.), entsteht in meinem Organismus ein Ungleichgewicht in Hinsicht auf meine normalen Werte: Die Leber wird ihre Arbeitsweise verändern, genauso wie einige Eigenschaften des Blutes und die Aktivität des Lymphsystems sich verändern werden, wie auch die Struktur einiger Hormone… Je nachdem, wie es um meine physiologischen Kapazitäten steht, kann das Ungleichgewicht einige Stunden oder mehrere Tage dauern, während denen der (homöostatische) Organismus daran arbeitet, seine veränderten Werte wieder in den Zustand zu bringen, der für mich den Normalzustand darstellt; und wenn ich gesund bin, bekommt er das gut hin.

Nach einer vernünftigen Zeitspanne ist es sehr wahrscheinlich, wenn alles funktioniert, wie es soll, dass alles wieder so ist, wie vorher.

Ich bestehe auf diesen Punkt, denn er ist wesentlich: Nach einer vernünftigen Zeitspanne werden nicht nur meine funktionellen Körpersysteme den Zustand quo ante wiedererlangt haben: Sondern, wenn alles funktioniert, wie es soll, wird der Organismus in seiner Gesamtheit den Exzess, dem er unterzogen wurde, vergessen haben.

Kurz und gut, an diesem Punkt kann ich mich wieder einmal mit gesättigten Fetten vollstopfen, ohne dass es besser oder schlechter für mich ist, als beim ersten Mal. Wenn ich es aber während der Erholungsphase tue, also wenn die Auswirkungen dieses Exzesses noch nicht wieder ausbalanciert worden sind, wird der neue belastende Stimulus auf eine noch weiter veränderte Motorik treffen: Das Ergebnis wird demnach ein neues Ungleichgewicht sein, vielleicht sogar eines von größerem Ausmaß als das vorhergehende. Wenn das Ausmaß und die Beschaffenheit dieses neuen Ungleichgewichts innerhalb bestimmter Parameter bleiben, wird auch diese Krise nach und nach überwunden werden; wenn nicht, könnte sie Komponenten der Motorik auf eine komplexere Art verändern, und zwar so, dass sie eine Spur im Organismus hinterlässt: Irgend etwas läuft nicht mehr so wie vorher.

Ich vereinfache die Angelegenheit stark; doch ich möchte, dass der Gedanke klar wird, dass die Auswirkung einer „belastenden“ äußeren Handlung nicht nur von der Beschaffenheit der Handlung abhängt (Essen, das meinen Organismus stark beansprucht, ein Virus, Kummer…), sondern auch von der Verfassung der Person und von ihrer Geschichte, sowohl der jüngeren als auch der weiter zurückliegenden.

Wer kann nachweisen, dass es schlecht für eine Person ist, wenn sie ein Kilo Schmalz isst? Und in welchem Sinne schlecht für sie? Natürlich werden einige physiologischen Komponenten davon beeinträchtigt werden; doch kann man das als „schlecht für sie“ bezeichnen? Ich denke nicht. Zumindest nicht, wenn man nicht auf bestimmte Dinge empfindlich oder auf eine bestimmte Klasse von Substanzen allergisch reagiert, oder falls nicht in meinem Kopf absolute Sicherheit darüber besteht, dass mir dieses Essen schaden wird (die Macht der Gedanken…)!

Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass es schlecht ist, einen Organismus wiederholt und über lange Zeit hinweg belastenden Stimuli auszusetzen, die er nicht ausbalancieren kann, oder ohne ihm Zeit und Gelegenheit zu geben, sie auszubalancieren.

Es kann auch vorkommen, dass ein belastender äußerer Stimulus, der normalerweise keine erheblichen Probleme verursacht hätte, auf eine bereits durch andere Ursachen ermüdete Physiologie trifft, die aus diesem Grund nicht in der Lage ist, die reaktive Leistungsfähigkeit an den Tag zu legen, über die sie normalerweise verfügt.

Nehmen wir zum Beispiel unser Immunsystem (eine außerordentlich ausgefeilte und vielschichtige Gesamtheit von Systemen und Subsystemen, die sich untereinander koordinieren, um den Körper vor äußeren Reizungen zu schützen). Nehmen wir also an, dass ein Virus (zum Beispiel der der Erkältung), der sich schon in meiner Nasenschleimhaut befand, von dem Teil meines Immunsystems unter Kontrolle gehalten wurde, der dafür zuständig ist (wir bemerken ihn noch nicht einmal, den Virus). Wenn die Leistungsfähigkeit dieses Teils des Immunsystems vermindert wird, etwa durch einen äußeren Einfluss, kann der Erkältungsvirus zu wuchern beginnen, und löst damit die Symptome einer Erkältung aus (keine Angst, es ist nur eine Erkältung).

Es kann also zum Beispiel passieren, dass eine Person sich eine Erkältung oder eine Laryngitis zuzieht, wenn sie viel Süßes isst und verschwitzt ins Kalte kommt. Es mag sein, dass sie tags zuvor dieselbe Menge an Süßigkeiten gegessen hatte und nichts passiert war. Wenn bestimmte Teile des Immunsystems ein wenig geschwächt sind, kann es in der Tat sein, dass die Einfachzucker (und andere ein wenig chemische Substanzen, die manchmal in Fertigprodukten vorkommen) dem Immunsystem gerade den Stoß versetzen, der die Abwehr knapp unter die Virulenzschwelle der Erkältung bringt. Aber auf der anderen Seite gibt es Menschen, auf die das Essen von Süßem nie diesen Effekt hat.

Also, sind Süßigkeiten schlecht? Für wen? Wann? In welchem Sinne? …

Ich glaube, dass es ein wichtiger Schritt auf wirkliche Wellness zu ist, wenn wir versuchen, unsere Auslegungen komplexer werden zu lassen.

Gute Komplexität euch allen :)

ins Deutsche übersetzt von Elisabeth Becker
Bild mit freundlicher Genehmigung von webalice.it

 

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