Beispiele für die Verwendung der Muskelenergie

Jetzt, wo wir alle Energiemechanismen, die innerhalb eines Muskels entstehen, grundlegend kennen, gehen wir dazu über, praktische Beispiele zu suchen, die zeigen, wie diese Mechanismen interagieren. Einigen wir uns darauf, anzunehmen, dass ATP und CP immer und gemeinsam aktiviert werden und dass wir unmittelbar von den Mechanismen reden, die das muskuläre Phosphagen wieder aufladen. Ich erinnere euch auch daran, dass alle im Folgenden verwendeten Begriffe, die nicht erklärt werden, schon einmal, von diesemBeitrag ab, definiert worden sind. Beginnen wir also nun mit einigen Beispielen aus dem praktischen Alltag, mit Erfahrungen, die wir alle schon einmal getan haben können ;D


Ihr sitzt ruhig da und lest die Zeitung. Die Energie, die von euren Muskeln benötigt wird, wird durch die Oxidationsvorgänge bereitgestellt. Die Menge an Phosphagen, das konstant in gespaltenem Zustand vorliegt, ist sehr gering. Der Sessel ist sehr niedrig und unbequem und ihr steht auf. Wenn ihr nicht gerade sehr, sehr schwach seid, erhöht sich der Anteil an gespaltenem Phosphagen (nur ein wenig, auf jeden Fall sehr viel weniger als 50%), doch das Einsetzen der Oxidationen reicht aus, um die Schuld zu begleichen. Ihr geht los. Die erforderte Leistung steigt an, doch die Oxidationen werden damit fertig, indem sie ihre Aktivität steigern (also die aerobe Leistung). Die Intensität der Atmung steigt unmerklich an. Wenn ihr schon auf den Beinen seid, macht ihr ein paar Kniebeugen (Squats) und macht damit etwa zehn Sekunden lang weiter. Der Muskel beginnt damit, ein wenig Milchsäure zu produzieren, um den Oxidationen fürs erste zu helfen, die auf die Anstrengung nur langsam ansprechen. Wenn ihr von den Muskeln her nicht besonders schwach seid, liegt am Ende der Übung etwa 50% des muskulären GPs gespalten vor. Nach einigen Sekunden seid ihr ein wenig außer Atem; dieser Sauerstoff kommt verspätet an und dient dazu, die (kleine) laktazide Schuld und die alaktazide Schuld zu begleichen. Auf einmal werdet ihr – ohne jeden vernünftigen Zweifel – des unverkennbar typischen Bellens eines wildgewordenen Rottweilers gewahr und rennt los so schnell ihr könnt, durch den Flur und die Zimmer, bis ihr nach etwa zehn bis zwanzig Sekunden völlig erledigt am Boden liegt und merkt, dass es nur ein Film im Fernsehen war. Am Ende der Leistung liegt das gesamte GP in gespaltener Form vor. Die Milchsäureproduktion setzt nach etwa drei bis vier Sekunden Aktivität ein. Die Hälfte der alaktaziden Schuld wird durch die Aufnahme einer laktaziden Schuld (!) bezahlt, die andere Hälfte durch Oxidationen. Das GP wird innerhalb einiger Minuten wiederhergestellt, es bleibt die laktazide Schuld, die beseitigt werden muss. Starkes nach Luft Schnappen, das nach der Unterbrechung der Arbeit auftritt. Verärgert über den Schreck, den ihr bekommen habt, gebt ihr der Wand einen kräftigen Fußtritt. Vergleichbare Dynamik wie das Aufstehen aus dem Sessel, doch die aufgenommene alaktazide Schuld ist höher. Keine Atemlosigkeit, geringfügige Milchsäureproduktion. Fest dazu entschlossen, euch von dem Schrecken zu erholen, zieht ihr euch ein paar Studen später um und geht zum Joggen in den Park. Ihr lauft gemütlich los, in einer Geschwindigkeit, in der ihr eine gute Stunde lang laufen könntet. Sobald ihr die Aktivität aufnehmt (Laufen ist eine ziemlich anstrengende Betätigung) steigt die Menge an gespaltenem GP in den beteiligten Muskeln rapide an. Die Oxidationsvorgänge werden aktiviert, doch es braucht eine Weile bis sie mit der Leistungsnachfrage Schritt halten können: In der Zwischenzeit wird der fehlende Energieanteil vom Milchsäuremechanismus bereitgestellt. Nach und nach, wie die Oxidationsvorgänge anlaufen, nimmt die pro Zeiteinheit produzierte Menge an Milchsäure ab, bis sie sich auf einen Wert einpendelt. Wenn die Aktivität an diesem Punkt noch ein wenig weiter zunimmt, übernehmen die Oxidationsvorgänge es, die Arbeit am Laufen zu halten und beginnen gleichzeitig damit, die laktazide Schuld abzubauen. Nach einer Stunde Laufen ist die mit dem Blut zirkulierende Milchsäure vernachlässigbar. Wenn ihr die Aktivität unterbrecht, ist etwa 50% des GPs gespalten. Das tiefe Atmen hält noch an, bis die alaktazide Schuld vollständig bezahlt ist. Im Park angekommen, nehmt ihr nun allerdings ein um einiges höheres Tempo auf. Die Menge an Milchsäure, die sich ansammelt, ist im Vergleich zum vorhergehenden Fall höher; so viel höher, wie die Laufgeschwindigkeit höher ist. Wenn die erforderte Leistung nicht die maximale Leistung eurer Oxidationsmechanismen (auch maximale aerobe Potenz genannt) übersteigt, wird der Augenblick kommen, in dem die Gesamtmenge der Milchsäure im Organismus nicht mehr weiter ansteigen wird und,wenn es noch Spielraum innerhalb der aeroben Potenz gibt, stattdessen abzunehmen beginnt, wie im vorhergehenden Fall. Andernfalls wird die Gesamtmenge der Milchsäure im Körper weiter ansteigen, solange die Tätigkeit nicht unterbrochen wird. Wenn die Laufgeschwindigkeit mit unserer maximalen aeroben Leistung übereinstimmt, wird der Milchsäurespiegel, der in diesem Moment vorliegt, wenn die Oxidationsvorgänge zu ihrer Höchstleistung auflaufen, konstant bleiben; die laktazide Schuld wird am Ende der Anstrengung beglichen, zusammen mit der alaktaziden Schuld (die immer 50% des GP beträgt). Kaum dass ihr begonnen habt, zu laufen, entschließt ihr euch unversehens, euren persönlichen Rekord auf 400m zu schlagen; ihr lauft mit der höchsten Geschwindigkeit los, die diese Distanz erlaubt, und kommt am Ende völlig erledigt an.Massives Einspringen der laktaziden Mechanismen schon nach den ersten Sekunden. Die Oxidationsvorgänge haben beinahe nicht einmal die Zeit, aktiv zu werden und in den Muskeln kommt ohnehin kaum Sauerstoff an (und bleibt dort nur kurz) aufgrund der Schnelligkeit und der Heftigkeit der Kontraktionen. Das Keuchen setzt nach etwa 30-40 Sekunden ein. Am Ende der Tätigkeit liegt das gesamte GP gespalten vor. Der Muskel nimmt eine laktazide Schuld auf, um die Hälfte dieser alaktaziden Schuld zu begleichen, die andere Hälfte wird durch die Oxidationen beglichen. Dann wird die laktazide Schuld bezahlt. Die Atemlosigkeit hält noch einige Minuten an, das Gefühl der Erschöpfung ist sehr groß. Man könnte noch viele andere Beispiele dieser Art machen... Wenn ihr euch in einem bestimmten Fall nicht sicher seid, schreibt nur! Im Folgenden die Schlussfolgerungen, die ich herausstellen möchte:
  1. Die Oxidationen erhöhen ihre Leistung eher langsam, wenn also der Muskel eine schnelle Leistung benötigt, greift er auf den Glykolysemechanismus zurück. So oder so bewirken sowohl die Kontraktionen aus einer laktaziden wie einer alaktaziden Schuld eine Erhöhung der Atmung und die Aktivierung der Oxidationsvorgänge.
  2. Wenn es den Oxidationen gelingt, sich im Laufe der Tätigkeit so weit zu aktivieren, dass sie die gesamte benötigte Leistung liefern können, wird die weitere Ansammlung von Milchsäure unterbrochen und reduziert sie, wenn oxidativer Spielraum besteht, im Laufe der Anstrengung wieder. Gelingt es ihnen nicht, steigt das Laktat an, bis es zur Unterbrechung der Aktivität führt.
  3. Bei Aktivitäten, die sehr intensiv und von kurzer Dauer sind (10–20 Sekunden) ist die laktazide Schuld, die nach der Teilanstrengung aufgenommen wird, sehr viel höher als die, die während der Bewegung aufgenommen wurde.
  4. Der größte Teil der länger andauernden Aktivitäten einer gewissen Intensität sind von gemischter Art, aerob und laktazid, gesetzt den Fall, dass die Oxidationen nicht in der Lage seien, alleine die geforderte Leistung zu bringen. Das heißt also, in einer Anstrengung gemischten Typs nimmt sich der Glykolysemechanismus, Augenblick für Augenblick, des Anteils der Leistung an, die die Oxidationen eventuell nicht mehr produzieren können.
Diese Überlegungen werden es uns erlauben, uns nun der Technik des Aufwärmens und unseren sportlichen Praktiken bewusster anzunähern Bis zum nächsten Mal :)
ins Deutsche übersetzt von Elisabeth Becker
Bild: Clay Bryan - mit freundlicher Genehmigung von sporting-heroes.net
Share
This entry was posted in Muskelenergie, Physiologie and tagged , , , , , , , , , . Bookmark the permalink.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>